Schülervereine in den Franckeschen Stiftungen (1843–1936)
Zusammenhalt – Konkurrenz – Wettbewerb
Eine Besonderheit der Franckeschen Stiftungen im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war das Schülervereinswesen. Die politischen Veränderungen nach 1848 erfassten auch die Jugend, die mit der Gründung von Schülervereinen versuchte, an den gesellschaftlichen Entwicklungen teilzunehmen. Im Zuge einer allgemeinen Liberalisierung des schulischen Lebens in den Lehranstalten zu dieser Zeit gewannen die Vereine eine große Bedeutung. Anderswo als Brutstätten der Revolution mit Misstrauen betrachtet, wurden die Schülervereine, die seit 1843 in den Schulen und Heimen gegründet wurden, vom Direktorium und Lehrerschaft in den Franckeschen Stiftungen unterstützt und als eine Form der Schülerselbstverwaltung akzeptiert.
Das Ziel dieser Gemeinschaften war die Erziehung ihrer Mitglieder zu Ordnung und Disziplin, Verantwortungsgefühl und kameradschaftlichem Umgang. Der größte Teil der Vereine widmete sich dem Turnen, der Leichtathletik oder der Musik. Aufbau, Organisation und Lebensformen der Vereine wurden durch selbstentworfene Satzungen geregelt, der Übungsbetrieb und die Veranstaltungen selbst organisiert. Mit ihren Regeln und speziellen Riten, ihren Konventen und Rängen der »Füchse«, »Burschen« und »Alten Herren« ähnelten sie den studentischen Korporationen. Durch ihre Gestaltung der traditionellen stiftischen Feierlichkeiten während des Schuljahrs spielten sie eine wichtige Rolle im kulturellen Leben der Stiftungen und trugen maßgeblich zur Ausprägung von Geselligkeit, Kameradschaft und freundschaftlichem Wettbewerb unten den Schülern über die Grenzen der unterschiedlichen Schulformen hinweg bei.
In der Zeit des Nationalsozialismus wurde die Selbstständigkeit der Vereine als Konkurrenz zu den Verbänden der Hitlerjugend immer stärker eingeschränkt, bis sie 1936 durch einen Gebietsbefehl der HJ-Führung offiziell aufgelöst wurden. Einige Verbindungen setzten ihre Tätigkeit als Arbeitsgemeinschaften unter Verzicht auf das Vereinsleben dennoch bis in die 1940er Jahre fort.